Ephemere

L´amitié amoureuse

Am Münchner Marienplatz ist der Weihnachtsbaum beleuchtet, die Menschen stehen vor den Buden und freuen sich an den netten Weihnachtsartikeln, die dort angeboten werden. Mir fehlt ein wenig der Bezug hierzu, aber schön und heimelig schaut es ja schon aus.

Ich hatte noch etwas Zeit an diesem Sonntag und so bin ich ein wenig durch die Stadt flaniert bevor ich, kurz vor 19.00 Uhr, zum Opernplatz ging, um mich mit Jean-Claude und seiner Partnerin Francesca zu treffen, die für einige Tage aus Paris hierher gekommen sind.

Wir hatten Karten für die Premieren Vorstellung von Sergei Prokofjew „Der feurige Engel“. Eine wunderbare Vorstellung! Und ebenso bereichernd ist es, wenn man sich unter Seinesgleichen, kulturschätzenden und gepflegten Menschen befindet, wie man auch noch keine Befürchtungen haben muß, hier unangenehmen Menschen begegnen zu müssen, die diese Person aus Berlin jetzt zu Hunderttausenden eingeladen hat. Wenn sie erst einmal beginnen ihren Kulturbarbarismus in der Öffentlichkeit auszuleben wird es ein schlimmes Erwachen werden.

Die Bayerische Staatsoper ist, so quasi eine der letzten Bastionen der kultivierten Zivilisation.

An jener Stelle der Aufführung als man Renata mit ihrer dämonischen Besessenheit im Kloster konfrontierte, legte Jean-Claude seine Hand auf meinen Schenkel und wandte sich leise zu mir mit der Bemerkung, daß er hierbei an die ostdeutsche Frau denke und abzuwarten bliebe, ob diese schlußendlich auch das gleiche Schicksal erleiden werde, wie Renata? Doch die sinnvollen Dinge werden in der Politik selten zur Realität, dachte ich mir.

Eigentlich wollten wir nach der Vorstellung noch eine Kleinigkeit essen, als man uns im zweiten Restaurant jedoch gesagt hatte, daß es um diese Zeit keine warme Küche mehr gäbe, beschlossen wir noch in dieser Nacht zu mir ins Tessin zu fahren.
Nach einem kurzen Fußweg zu meinem Leihwagen fuhren wir zum Hotel, in welchem Jean-Claude und Francesca die vergangenen Tage genächtigt hatten, um dort ihr Gepäck abzuholen und uns anschließend auf den Weg in Richtung Süden zu machen.

Ich fahre ja meist nicht selber, und bei diesem luxuriös ausgestattetem Wagen wußte ich zunächst nichts mit all den Knöpfen und Schaltern anzufangen. Im Fond des Mercedes Vito waren vier cremefarbene drehbare Ledersitze, in der Mitte ein kleiner Tisch, seitlich eine Minibar und eine wunderbare, integrierte Rundumbeleuchtung. Wenn ich alleine fahre, miete ich mir stets einen Wagen dieser Klasse. Solch eine V.I.P. Limu kostet nur wenig mehr als ein normaler Pkw und man ist für jede Situation eingerichtet. So war es für mich sehr schön auf dem Rückweg nicht wieder alleine reisen zu müssen.

Als Francesca begann ihre Opernbekleidung gegen etwas Bequemeres zu tauschen bemerkte ich, daß sie offensichtlich eine weitere ästhetische Optimierung ihres wundervollen Körpers vorgenommen hat. Nicht, daß dies notwendig gewesen wäre, doch Francesca, wie auch ich sind der Ansicht, daß dieses Sich-stille-Fügen in die Natur für eine Frau mit Stil nicht lebenserfüllend sein kann.

Gerne zeigte sie mir ihre neuen, etwas größeren Boobs und berichtete mir von ihrem Tag in der 3 Rue de Marignan, wo sie sich bei dieser Gelegenheit auch einen etwas höheren Platz für ihre himbeerfarbenen Brustspitzen erwählte, als einen noch verführerischen Standort; zu ihrem persönlichen Wohlbefinden, wie der Lust ihrer Liebhaber.

Als Professeure an einem privaten Institut hatte sie schon immer Affären außerhalb ihrer Partnerschaft, was sie aber nie veranlaßte ihre Ambitionen zu professionalisieren oder gar Jean-Claude zu verlassen, der ihr eine zusätzliche finanzielle Sicherheit gab, für einen in unseren Kreisen normalen Lebensstil.
Ich weiß nicht, ob sie mir einfach nur Gesellschaft leisten wollte, auf der doch mehrstündigen Fahrt oder, ob es ihr ein tatsächliches Bedürfnis war, jedenfalls begann Francesca ein wenig von ihrer Beziehung mit diesem attraktiven Mann, der im Fond bei einem Glas Wein die Nachrichten im TV verfolgte, zu erzählen.
Ihr erschiene es als ein zunehmendes Problem in ihrer von Liebe getragenen Partnerschaft, ihre sich entwickelnden sexuellen Phantasien mit Jean-Claude ausleben zu können und verdeutlichte mir dies an einigen Beispielen, verbunden mit der an mich gerichteten Frage, ob ich einen Rat zur Auflösung ihres kleinen Problems hätte.

Diese stets wiederkehrende Lebensbeschreibung kenne ich von vielen  Frauen und sie entspringen immer der gleichen Grundthematik.

Vor nun schon langer Zeit schrieb S. Freud hierzu: „Wo sie lieben, begehren sie nicht, und wo sie begehren, können sie nicht lieben.“ Mancher mag ja heute über Freud lächeln, doch er war ein kluger Mann und beobachte folgerichtig, daß sinnliche und zärtliche Strömung nie zueinander finden können – Liebe und Triebe sich nie treffen können. Wie allgemein zu beobachten und durch unzählige Statistiken untermauert, verflacht nach vier bis sieben Jahren das sexuelle Begehren in sehr vielen Paar-beziehungen und die Bereitschaft zu einer Modifizierung ist häufig nicht anzutreffen. Zu stark wirkt offenbar auch hier der flache, gesellschaftliche „Gemeinschaftsdruck“.

„So, wie deine wunderschöne, körperliche Optimierung eine gelungene Erweiterung deiner Identität sein wird“, sagte ich zu Francesca, „so sollte Deine Identität als Ganzes als etwas gesehen werden, das durch Sprache und Diskurse erzeugt und mitgeteilt wird. Ein Versuch ist es jedenfalls wert und das Triebhafte zu ignorieren läßt uns früher oder später im Blümchensex ersticken.“

Ich persönlich glaube ja, daß die Lust, die aus einer Perversion gezogen werden kann, wundervoll sein kann. Ich habe jedenfalls noch keine Enttäuschung erleben müssen.

Am Grenzübergang zur Schweiz standen zwei einsame Beamte, die unsere Pässe gewissenhaft überprüften und einen Blick in den Fond unseres Wagens einforderten, wie auch den Minikühlschrank inspizierten, wohl um sich zu vergewissern, daß wir keine zollpflichtigen Alkoholmengen mitführten, oder gar – welch aberwitziger Gedanke – illegale Araber in die Schweiz einführen. Gute Güte, wir bekennen uns zum siècle des lumières – unserem Lebenselexier – und die Unterstützung von steinzeitlichem IslamTum wird uns stets fremd bleiben.

Jean-Claude hatte es sich nach dieser rüden, wie aber auch aus Sicht der Schweiz, nachvollziehbaren Unterbrechung auf einem der vorderen Sessel bequem gemacht, um uns Gesellschaft zu leisten und weil er, wie er meinte, ein wenig mitreden wolle, bei allem was er so bisher mithören konnte.

Er sei überrascht von Francescas Erzählung und zugleich erfreut, da sie untereinander bisher noch nie diese Thematik besprochen hätten. Er verstehe Francesca sehr gut und in manchem ihrer Gedanken würde auch er sich wiedererkennen, doch, wohl durch seine Sozialisierung wie durch seinen Beruf bei der Airbus Group hätte er sich die Contenance erworben, die es braucht, um damit fertig zu werden. Er habe die Erfahrung gemacht, daß Frauen, um einer romantischen Bindung willen, auch in Sexualpraktiken einwilligen, die für einen Mann zwar erfüllend sein können, er jedoch stets dabei das Empfinden habe sie seien dabei von Ekel und Ablehnung erfüllt.
Er sei nicht unglücklich in seiner, in den vergangenen Jahren selbstgewählten, Asexualität.
Ein klarer Standpunkt, dachte ich mir und sagte an die beiden gerichtet: „Stabile Persönlichkeiten können damit umgehen, können Befriedigung aufschieben und die eigene Bedürftigkeit denkend objektivieren, doch eine Paarbeziehung wird dies wohl kaum bereichern. Bücher wie „Guter Sex trotz Liebe. Wege aus der verkehrs- beruhigten Zone“ von Ulrich Clement werden hier wenig weiterführend sein.“ Ja, so wird Banalität schnell zum Tabu.

Nach dem San Bernardino Tunnel brachte Jean-Claude Francesca und mir ein Glas Wein. Der größte Teil des Weges lag hinter uns und spätestens in einer Stunde werden wir in meinem Haus sein.

Im Gegensatz zur bürgerlichen Welt, die sich in ständiger Selbstermahnung der Losung verschrieben hat – wenn  alle Hoffnungen scheitert, so erwartet uns allemal im Schoß der Familie das Glück der Bescheidenen – habe ich eine positiv erweiterte Einstellung zum Leben. Jedoch geht es stets wieder um die Authentizität. Wenn hingegen einer der Partner sagt oder das Gefühl vermittelt „das ist nichts für mich“, dann gilt es diesen authentischen Dissens auch zu akzeptieren.
 

Ich denke, der Rest der Nacht wird eine wundervolle Gelegenheit sein für uns Drei pour les leçons dans l’art de la volupté, und ich bin schon voller Vorfreude Francescas Boobs liebkosen zu dürfen, wie auch Jean-Claudes Lenden wieder erwecken zu können. Die lustvolle Praxis war stets erfolgsführend und über das „Sexocorporel-Konzept“ kann man ja immer noch sprechen.

Dienstag 01. Dezember 10.30 Uhr
Noch etwas müde sitze ich bei meiner zweiten Tasse Danesi Kaffee und lese die Zeitungen.
Mein Hausmädchen kam gerade herein und brachte mir einen Briefumschlag von Jean-Claude und  Francesca, den sie in meinem kleinen Salon beim Aufräumen gefunden hatte. Im Umschlag lag neben einem Zettel mit einigen sehr lieben Zeilen, die ihren Dank für die beiden Nächte, wie unsere Gespräche zum Ausdruck brachten, auch noch ein ganz persönliches Geschenk.

Es wird heute wieder ein wundervoller Tag werden!

KLEINE MENGENLEHRE oder CREATIVE SIMPLICITY

Heute gibt es eine weitere Fortsetzung meiner „Kleinen Mengenlehre“. Ich beschäftige mich noch mit dem Wort Liebe und seinen gedanklichen Implikationen, also nicht nur den Überschneidungen und Berührungen, sondern auch mit der Idee nach den Beweggründen und der Verbindung zur Zeit. Hier meine „Gedankenzeichnung“ dazu:

KLEINE MENGENLEHRE oder CREATIVE SIMPLICITY

Es ist nicht verwunderlich, wenn das Camus Zitat über die Liebe hier auftaucht, und ihr Euch fragt, was es bedeuten soll. Wie ich schon angekündigt hatte, möchte ich in den kommenden Wochen einige graphische Darstellungen zum Thema Liebe, Partnerschaft, Beziehung zeigen, die mir in den Sinn gekommen sind. Mathematik war nie ein besonders spannendes Schulfach für mich, aber die mathematische Notation und ihre Symbole haben eine ästhetische Faszination, die ich mit dem verbinden wollte, was mich beschäftigt – die Lebenslüste, Erotik und andere Gefühlsräume.
In der Vereinfachung und Schematisierung einiger Begriffe entsteht für mich eine lustvolle Auseinandersetzung mit alltäglichen Erscheinungen, die uns einfach scheinbar so selbstverständlich umgeben wie „die Natur“. Ziel ist, wie auch der Titel andeutet, eine konstruktive Vereinfachung oder auch nur Neubewertung von bekannten Vorstellungen, die in der Kombination von Wort und Zeichen zustande kommen soll. 

BE